#MTW Column: Neujahrsblues

Ich schaue aus dem Fenster und starre den grauen Vorhang an, der sich schwer über die Stadt gelegt hat. Nürnberg ist derzeit grau, nass und überhaupt nicht attraktiv. Am liebsten würde ich meine Zeit aktuell damit verbringen, den ganzen Tag im Bett zu liegen und zu hoffen, dass diese graue Jahreszeit schnell vorbei geht. Mein persönlicher Winterschlaf, quasi. Besser wäre es, denn seit Weihnachten vergeht nicht ein Tag, an dem ich mich nicht mindestens einmal frage, welcher Tag überhaupt ist. Ich kann ihn fühlen – diesen Neujahrsblues. Ihr auch?

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»Dieses Jahr wird mein Jahr!« Jeder kennt diese Phrase und jeder, wirklich jeder, hat sich das schon mindestens einmal in seinem Leben in der Silvesternacht gedacht. Wir setzten uns Ziele, schreiben Neujahrsvorsätze. Wir kaufen sogar extra ein Notizbuch dafür – new year, new me und so. Meine Silvesternächte der letzten Jahre sahen eher so aus, dass ich mit meinem Sektglas im Nieselregen stand und mich fragte, welche Katastrophe in diesem Jahr wohl auf mich warten würden. Manch einer mag jetzt süffisant lächeln und sich denken, dass ich übertreibe. Ich übertreibe nicht. Wirklich nicht. Die letzten Jahre waren ätzend. Mein Gefühl konnte noch so gut sein, irgendwas passierte immer und ließ alles aus den Fugen geraten. Ich hatte irgendwann schon gar keine Lust mehr auf Silvester – die Parties waren mehr Zwang als Genuss. So auch der Jahreswechsel 2017/2018. Todesunglücklich saß ich da. Ich war so unglücklich, dass nicht mal der Wein schmeckte. 2018 begann so, wie ich mich innerlich fühlte: grau, verregnet und eiskalt. Ich hatte keine Erwartungen, nur einen Gedanken: schlimmer kann es nicht mehr werden! Was ich nicht wusste:

2018 sollte das beste Jahr seit langem werden!

Die ersten paar Monate stolperte ich durch das Jahr wie ein Rehkitz, das gerade Laufen lernte. Nächtelang lag ich wach und weinte mir die Augen aus, bis ich von mir selbst total genervt war. Irgendwann fand ich mich mit der Situation einfach ab. Dann war ich eben single, während alle um mich herum Jahrestage, Hochzeiten, Geburten oder Spatenstiche feierten. Das war wirklich okay, denn ich begriff, dass ich auch alleine gut zurecht kam und mein Glück nicht von jemand anderen abhing. Mir wurde erst später bewusst, dass ich mit diesem Gedanken auch anfing, mich selbst zu lieben. Mit mir und meinem Leben endlich im Reinen zu sein. Und dann, als ich aufhörte zu suchen, passiert es. Ich verliebte mich Hals über Kopf und hätte am liebsten die Zeit angehalten. Kann mich mal bitte jemand kneifen?

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Der Zeiger schlägt von 23:59 auf 00:00 um.

*

Und dann steht da plötzlich 2019 vor der Tür und setzt die Messlatte ganz automatisch höher enorm hoch. Die ersten paar Tage des neuen Jahres gehören schon der Vergangenheit an und ich gestehe, dass ich 2019 noch nicht wirklich fühle. Es fällt mir unheimlich schwer, 2018 gehen zu lassen, obwohl ich kurz vor Jahreswechsel das Gefühl hatte, dieses wunderbare Jahr loslassen zu können. Eigentlich sollte ich nach diesem Jahr, das bis auf zwei, drei kleine Ausnahmen eigentlich nur aus Hochs bestand, ein gutes Bauchgefühl haben. Ich sollte mich auf die bevorstehenden 365 Tage freuen und dort anknüpfen wo ich am 31/12/2018 um 23:59 Uhr aufgehört hatte. Eigentlich… In Wirklichkeit habe ich einfach nur Angst. Ich habe Angst davor, dass mir das Leben wieder durch die Finger gleiten könnte und ich nichts dagegen tun kann. Dass ich nur da stehen und zusehen kann, wie alles wieder aus den Fugen gerät. Dass ich auf Fragen keine Antworten erhalte und wieder bei Null anfange. Mein Kopf rattert, der Puls rast.

Da sind sie, die ersten Fragezeichen. Warum kann ich das nicht? Warum kann ich nicht einfach an ein Jahr anknüpfen, das so viel Überraschung, Veränderung, Liebe und Selbstliebe für mich übrig hatte? Einfach den Kopf ausschalten und es passieren lassen.

War es ZU gut? Ist es das? 

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1 Kommentar

  1. M.S. aus A.
    6. Januar 2019 / 18:12

    Zunächst einmal muss ich dir ein Kompliment machen. Das Verliebt-sein steht dir außerordentlich gut zu Gesicht 😉

    Ich bin gerade noch etwas zwiegespalten, was ich darauf schreiben möchte. Ich habe zwei Punkte, die aber nicht Hand in Hand gehen können/wollen.

    Fangen wir mit der “nüchternen” Sichtweise an:
    Es gibt keinen Grund warum vom 31.12. auf den 1.1. plötzlich etwas anderes werden soll. So Alu-Hut-Verschwörungs-Chemtrail-9/11-FlatEarth-mäßig es auch klingt, der Begriff “Zeit” ist nur eine Erfindung des Menschen. Deshalb solltest du dir deine persönliche Messlatte nicht höher legen, gerade wenn du momentan ziemlich zufrieden bist. Dass der Mensch sich gerne im Vergleich definiert ist mir bewusst, und so gerne ich das auch ablegen würde, ich bin da oft nicht anders. Leider.

    Was mich zur “emotionalen” Sichtweise führt:
    Nachdem 2017 schon mit einem derben Nackenschlag geendet hat, erwischte ich mich vor einem Jahr selbst dabei, als alle außen feierten und ich allein auf dem Sofa saß, wie ich mir dachte “2018 rocke ich, ich lass mich von niemanden aufhalten”… Nunja, es sollte anders kommen. Dass dieser “niemand” der mich aufhalten sollte, ich respektive mein Körper sein sollte, hatte sich zwar immer wieder abgezeichnet, aber in dem Ausmaß war wahrlich nicht damit zu rechnen. Mit der Liebe hat es wieder mal nicht geklappt, aber wer braucht schon Liebe wenn er Drama 24/7 haben kann. Deshalb musste ich irgendwann einen Schlussstrich ziehen, auch wenn es gesundheitlich noch immer weit von “gut” entfernt ist… Das Seuchen-Jahr 2018 wurde ad Acta gelegt. Und dafür hat sich der Jahreswechsel ganz gut angeboten.

    Was soll die Quintessenz meines Kommentars sein? So wenig sich die beiden Sichtweisen verbinden lassen, so untrennbar sind sie. Ist es dämlich, zu glauben, dass sich irgendwas ändert, weil man jetzt eine 8 statt einer 9 ans Ende eines Datums schreibt, klar. Dennoch macht es irgendwie jeder. Aber vielleicht ist so ein Jahreswechsel ganz sinnvoll um Negatives abzuschließen, sich einfach einen neuen Blickwinkel auf etwas zu verschaffen. Es gibt absolut keinen Grund anzunehmen, dass dein Leben wieder aus den Fugen geraten wird.

    Wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile und können im jeweils anderen wie in einem Buch lesen. Ich weiß wie es dir geht und ich weiß auch, dass dieser Kommentar mitnichten alle Fragen und Sorgen ausradiert. Aber so sehr uns Veränderungen auch Unbehagen bereiten und innere Unruhe stiften, dürfte dir 2018 gezeigt haben, dass sie einerseits unausweichlich und wichtig sind, und auf der anderen Seite nette Nebeneffekte mit sich bringen können.

    Und selbst wenn mal alle Stricke reißen sollten, und wenn du das Gefühl hast, die ganze Welt ist gegen dich, ich bin nur einen Anruf und/oder, je nach Verkehrslage 20 Minuten mit dem Auto entfernt 😉

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