#MTW Column: Saal 62

Ein Wortwechsel. Eine Beleidigung.

Felix, wie er sich schützend vor mich stellt.
»Ist gut jetzt« sagt er ruhig. Ein Schritt. Ein Schubser.
Da fliegt auch schon die erste Faust.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Die Stimmen um mich herum werden lauter, während ich versuche jemanden zurückzuhalten.
Ich denke nicht – ich funktioniere.

Der blonde junge Mann, der aus dem Nichts zuschlug, stiefelt wutentbrannt hinter Felix her. Ich versuche ihn zurückzuhalten, aufzuhalten.
Ich erwische nur sein T-Shirt.

Es reißt. Ich lasse los.

Und dann liegt er da – regungslos – auf dem kalten Kopfsteinpflaster. Er blutet.

Mein Atem stockt. Mein Herz rast.

Ich laufe los, nur um zu sehen, wo sie hingehen. Da sehe ich einen von ihnen. Ich schreie ihn an, will wissen, warum sie das getan haben.
Er dreht sich um, legt seine Hand um meinen Hals und schubst mich weg.

Ich werde panisch. »Fass mich nicht an« brülle ich.

Er lässt los. Dann schlägt er zu.
Mein Adrenalinspiegel fällt rasant, als seine Faust mich unterhalb meines rechten Auges trifft.

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Als ich den Gerichtssaal betrete um belehrt zu werden dreht er sich zu mir um und grinst mir frech ins Gesicht. Ich fühle mich unwohl. Meine Hände beginnen zu zittern, noch ehe ich überhaupt im Zeugenstand sitze. Ich habe Angst vor der Situation. Angst vor den Fragen. Angst vor möglichen Anschuldigungen, obwohl ich unschuldig bin. Ich erblicke den Stuhl vor der Richterin, links neben dem Tisch, an dem die beiden Angeklagten sitzen und es läuft mir eiskalt den Rücken herunter. Ich werde als Erste in den Zeugenstand gerufen. Ich durchlebe die Nacht im Zeugenstand erneut. Erzähle meine Geschichte während schräg hinter mir immer wieder gelacht und der Kopf geschüttelt wird. Erst stellt mir die Richterin Fragen, dann die Verteidigung. Ich werde dazu aufgefordert die Nacht zu skizzieren. Meine Beine zittern, während ich am Richterpult stehe und ich die Blicke der beiden auf mir spüre. Alles kommt mir in diesem Augenblick wie eine Ewigkeit vor. Wie lange ich wohl schon hier sitze? Ich werde aus den Gedanken gerissen, als die Verteidigung mich nach dem Schlag fragt, der mich in der Nacht des Geschehens im Gesicht traf. Ob und wie ich mir erklären konnte, dass ich, obwohl mich angeblich die Faust am Jochbein getroffen hatte, kein Veilchen zu sehen war.  Ich antwortete mit einer knappen Gegenfrage. »Bin ich Mediziner?« Das letzte Wort hat der Angeklagte und richtet es direkt an mich. Er blickt mich mit seinen dunklen Augen an. Sie funkeln. »Warum lügst du? Ist dir bewusst, dass meine Zukunft davon abhängt?« Ich drehe mich zu ihm um. »Ich bin eine junge, gewissenhafte Frau! Ich habe keinen Grund Lügen zu erzählen.« Ich erzähle, dass ich seit acht Jahren in der Stadt lebe, häufiger als einmal nachts alleine auf dem Weg nach Hause war und mich immer sicher fühlte. Wenn nicht, griff ich zum Telefon. Ich erzähle, dass mir diese Sicherheit in der Nacht im September 2018 genommen wurde. Dass ich die Straßenseite wechselte, sobald mir eine Menschengruppe entgegen kam. Dass ich gelegentlich nachts Panik bekam und dass ich mich nachts nicht mal mehr in Begleitung meines Partners zu 100% sicher fühlte. Und in diesem Moment entgleitet mir meine Stärke. Meine Augen füllen sich mit Tränen, meine Stimme zittert. Der eine Verteidiger, ein dicker, glatzköpfiger Mann mit Brille, funkelt mich mit seinen bösen, kleinen Augen an. »Wissen Sie was? Sie sind keine junge, gewissenhafte Frau. Sie sind eine Dramaqueen.«

Nach über 30 Minuten werde ich aus dem Zeugenstand entlassen. Felix nimmt wenige Minuten später neben mir Platz. Er hält meine Hand. Mit der anderen umklammere ich mein Taschentuch – nach wie vor kullern mir stumme Tränen über das Gesicht. Mir ist schlecht.

Der erste Zeuge der Anklagebank betritt den Raum. Mit einer Fassungslosigkeit, die ich in meinem Leben noch nie zuvor verspürt habe, beobachte ich das weitere Geschehen. Die Aussagen zugunsten der beiden jungen Männer auf der Anklagebank sind wirr und teils völlig aus dem Kontext gerissen; die Tatsachen verdreht. Vor mir sitzen Menschen, die erzählen, wie mein Freund den blonden jungen Mann von hinten, ohne jeglichen Grund, angegriffen haben soll. Sie erzählen, ich hätte mit wüsten Beleidigungen um mich geworfen und sei als Erste gegenüber dem großen dunkelhaarigen Jungen handgreiflich geworden. Ich… Immer wieder schütteln wir den Kopf und der Angeklagte, der dort saß, weil ich ihn der Körperverletzung beschuldigte, dreht sich mit einem breiten, frechen Grinsen immer wieder zu mir um.

Die Zeugenaussagen nehme ich nun mehr nur noch wie ein Rauschen wahr. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass es vorbei ist. Den Glauben an einen guten Ausgang habe ich schon längst verloren.

Die Urteilsverkündung ist ein Witz.

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Wenn ich heute an den Verhandlungstag und die Urteilsverkündung zurück denke wird mir immer noch eiskalt. Ich kann gar nicht wirklich beschreiben, wie ich mich sowohl im Zeugenstand als auch danach in den Zuschauerreihen gefühlt habe. Selbst jetzt schüttle ich immer noch mit dem Kopf und finde kaum Worte um meiner Fassungslosigkeit, die weniger etwas mit der Härte bzw. Milde des Urteils, sondern eher mit dem Ablauf der Verhandlung zu tun hat, Ausdruck zu verleihen. Wie kann eine Richterin zulassen, dass sich der Angeklagte, der eine junge Frau körperlichen Schaden zugefügt hat, während des gesamten Verlaufs immer wieder umdreht, die Zeugin fixiert und provoziert? Dass man die beiden jungen Männer auf der Anklagebank während den Zeugenaussagen immer wieder tuscheln und lachen hört? Dass sie nur eine Armlänge entfernt hinter dem Zeugenstand sitzen – so nah, dass man sie atmen hören kann? Dass sie dich ansprechen und der Lüge bezichtigen dürfen? Wie kann es sein, dass Aussagen wie »Der wird besoffen gestolpert sein« unkommentiert bleiben? Dass man plötzlich von der Opferrolle in die Täterrolle rutscht und hilflos dabei zusehen muss? Ich bin fassungslos darüber, dass entschieden wurde, es könne kein Faustschlag gewesen sein, einzig und allein aus dem Grund, dass kein Veilchen zu sehen war. Fassungslos, dass sich von der Verteidigung darüber lustig gemacht wurde, dass ich nun nachts alleine auf  der Straße Angst habe. »Sie sind eine Dramaqueen, Frau Frohna!« Ob der dicke, glatzköpfige Mann in seiner schwarzen Robe das auch so gesehen hätte, wenn statt mir seine Tochter im Zeugenstand gesessen wäre?

 

 

5 Kommentare

  1. Anna-Lena
    4. Februar 2020 / 9:12

    endlich mal wieder eine kolumne!! hat mich richtig gefesselt beim lesen

  2. 15. Februar 2020 / 17:36

    Ich fasse das nicht. Ich bin grade so wütend! Und ich bin froh, dass du diese Geschichte erzählen konntest und sie dir von der Seele geschrieben hast. Ich habe Ähnliches erlebt, zum Glück bin ich jedoch ernst genommen worden. Ich weiß nicht, wie ich das verkraftet hätte, wäre ich in deiner Situation gewesen… unfassbar!

    • Leni
      Autor
      20. Februar 2020 / 9:10

      War wie eine Art Bewältigungstherapie! Ich würde mir für jeden wünschen, dass solch eine Situation/Verhandlung positiver ausfällt als unsere… mir hat es tatsächlich etwas den Glauben und das Vertrauen genommen..

  3. Nadine
    16. Februar 2020 / 15:06

    Unglaublich. Ich weiß nicht, wie ich in deiner Situation reagiert hätte. Das lässt einen an der Menschheit zweifeln.
    Nebenbei: super geschrieben, ich konnte richtig schlimm mitfühlen.

    • Leni
      Autor
      20. Februar 2020 / 9:10

      Du sagst es! Und vielen Dank für dein liebes Feedback ♥

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